Das tägliche Leben der alten Ägypter ausgraben
Was Fingerabdrücke auf antiken Statuetten über das Leben der einfachen Menschen im Land der Pharaonen verraten
Jahrhundertelang lag die antike Stadt Thonis-Herakleion versunken im Mittelmeer, ihre Geschichte unter meterhohen Sedimentablagerungen verborgen. Durch bahnbrechende unterwasserarchäologische Forschungsarbeiten wiederentdeckt, gibt diese einst blühende Hafenstadt immer wieder Einblicke in ihre Vergangenheit, nicht nur durch große Funde wie Überreste von Tempelanlagen und monumentale Skulpturen, sondern auch durch die kleinsten Objekte des täglichen Lebens, die die Geheimnisse der Menschen bergen, die in dieser vergessenen Welt lebten und arbeiteten.
Fingerabdrücke schreiben Geschichte
Leonie Hoff, Archäologiestudentin an der Universität Oxford, hat aktuell die Möglichkeit, als Teil der Forschungsgruppe an ausgewählten Funden aus Thonis-Herakleion zu arbeiten. Sie untersucht die verschiedenen Statuetten aus Terrakotta, Knochen, Stein und Fayence. Während die seit Jahrzehnten andauernden Forschungsarbeiten umfassende Informationen über den Gesamtgrundriss und die Struktur dieser einst so bedeutenden Hafenstadt liefern, gibt uns Hoffs Arbeit einen Einblick in das Alltagsleben ihrer Bewohner. Die Untersuchung der Statuetten lässt Rückschlüsse auf die Gegenstände zu, die die Menschen benutzten, und wie sie hergestellt wurden.
Durch die Analyse der Fingerabdrücke - d. h. der Dichte und Breite der Fingerrillen - auf sechzehn Figurinen kam Hoff zu einer überraschenden Erkenntnis: Im Gegensatz zu dem, was antike griechische Texte vermuten lassen, war die Herstellung von Figuren nicht ausschließlich eine männliche Tätigkeit. Frauen und Kinder spielten eine wichtige Rolle, wobei Kinder einfachere Aufgaben des Produktionsprozesses übernahmen, wie das Pressen von nassem Ton in Formen. Frauen und Männer hingegen arbeiteten an der komplizierten Zusammensetzung dieser Statuetten aus filigranen Einzelteilen. Im antiken Griechenland war die Figurenherstellung ein eigenständiges Gewerbe mit niedrigem sozialem Status. Mit ihrer Analyse konnte Hoff außerdem die Unterschiede zwischen den aus Griechenland importierten und den in der Region hergestellten Figurinen aufzeigen.
Die junge Archäologin steht erst am Anfang ihrer Untersuchungen. Sie ist überzeugt, dass die Statuetten von Thonis-Herakleion noch weitere Informationen liefern können.
Eine langjährige Partnerschaft
Seit 1996 unterstützt die Hilti Foundation die unterwasserarchäologischen Forschungen des französischen Archäologen Franck Goddio und seines Teams vom Europäischen Institut für Unterwasserarchäologie (IEASM) in Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Ministerium für Tourismus und Altertümer in der Region von Alexandria. Diese Partnerschaft hat nicht nur zur Wiederentdeckung von zwei Städten, Thonis-Herakleion und Kanopus, geführt, die viele Jahrhunderte lang aus der Geschichtsschreibung verschwunden waren, sondern auch zu revolutionären wissenschaftlichen Erkenntnissen über die späte Pharaonenzeit Ägyptens.
Im Jahr 2003 wurde diese Zusammenarbeit durch die Gründung des Oxford Centre for Maritime Archaeology (OCMA) erweitert, einer spezialisierten Forschungsinitiative innerhalb der School of Archaeology der Universität Oxford. Seitdem inspiriert das OCMA die nächste Generation von Archäologen und bietet ihnen einmalige Möglichkeiten, in die maritime Archäologie einzutauchen und bahnbrechende Entdeckungen zu machen. Zu diesen Bemühungen gehört auch die Forschungsarbeit von Leonie Hoff. Sie wird von OCMA-Direktor Damian Robinson betreut, dessen Fachwissen viele der bemerkenswerten Studien des Zentrums geprägt hat. Einen Einblick in die 20-jährige Zusammenarbeit zwischen Franck Goddio und Damian Robinson bietet ihr aktueller Podcast, in dem sie über die faszinierenden Forschungsergebnisse und den Einsatz neuester Technologie sprechen.